Ein Rechenbuch von 1601 als Monument des Denkraums zwischen Mittelalter und Moderne

Caspar Richters Rechenbuch von 1601.
Caspar Richters Rechenbuch von 1601.

Caspar Richter wirkte im ausgehenden 16. Jahrhundert in der schlesischen Stadt Oels bei Breslau als Schulmeister und Buchdrucker. Er gründete eine eigene Druckwerkstatt und verlegte 1593 das von ihm verfasste Zinsbuch. Bald darauf übernahm Jacob Brückner die Werkstatt, die auch für den Druck des vorliegenden Werks verantwortlich zeichnet. Richter starb im Jahr 1610; sein Rechenbuch erschien 1620 noch in einer weiteren Auflage.

Schon der Untertitel verweist darauf, dass es sich bei dem Rechenbuch nicht um eine Arithmetik handelt:

Darinnen allerley unterschiedliche nothwendige Zinßwechsel, Taxa, Marckkauf, Analog und Abteil Raittungen zubefinden.

So besteht das Buch zu einem Großteil aus diversen Umrechnungstabellen und ist lediglich eine erweiterte Neuauflage des 1593 erschienenen Richterschen Zinsbuches.

Richter holt zu Beginn des Vorworts weit aus und landet mit der Rechtfertigung seines doch recht profanen Vorhabens — der Herausgabe eines Zins- und Rechenbuchs — direkt bei der höchsten Instanz:

Gott [hat] sonderlich den Menschen mit grossen wolthaten und gaben begnadet ... / in deme / das er Zehlen / Rechnen / unnd also dadurch alles entscheiden kann / Durch welche Begnadung / der Mensch von den unvernünfftigen Thieren unterschieden. Darumb sich dann auch der Mensch zu keiner Geistlichen noch Weltlichen Kunst keren kann / wann er die erkäntnus der Zahlen nicht verstehet.

Zahl und Arithmetik nehmen bei Richter eine herausragende Rolle ein, sowohl im Verhältnis des Menschen zu Gott wie auch in seinem Welt- und Selbstverhältnis. Die Fähigkeit zur Arithmetik begründet nachgerade das Menschsein; Gottes Gnade und Schöpfungsakt werden zwar genannt, treten aber bereits in den Hintergrund. Auch die Emapnzipation des Menschen von Gott ist darin unbewusst angelegt: Offensichtlich schwankt Richter zwischen der althergebrachten paternalistischen Vorstellung eines Gottes, durch dessen „grosse Gnad / Lieb / und Barmherzigkeit“ der Mensch „erhalten und ernehret“ wird, und dem modernen Bild eines mündigen Menschen, der durch seine mathematischen Kenntnisse zu selbstbewussten Entscheidungen befähigt wird.

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